Bundesgericht äussert sich zur Überwälzung der Kosten der Eigenproduktion auf feste Endverbraucher

Das Bundesgericht hat am 20. Juli 2016 (Link zum Urteil) über die Beschwerden einer grossen Endverbraucherin und des UVEK, vertreten durch das BFE, gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (3. Juni 2015, A 3170/2013) entschieden. Die Beschwerde der grossen Endverbraucherin (Rechtsverweigerungsbeschwerde) hiess es teilweise gut, die Beschwerde des UVEK, mit der es sich gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Festsetzung von angemessenen Energiekosten durch die ElCom wehrte, vollständig.

Das Urteil äussert sich unter anderem zur Praxis der EVU, wonach die derzeit über den Marktpreisen liegenden Gestehungskosten der Eigenproduktion auf die festen Endverbraucher überwälzt werden. Dieser Praxis scheint das Urteil enge Grenzen zu setzen. Die ElCom hat im Anschluss an dieses Urteil kommuniziert (Newsletter 07/ und 08/2016), dass sie künftig wieder aktiv überprüfen wird, ob die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Zuordnung der anrechenbaren Energiekosten und der Höhe von Kosten und Gewinn im Vertrieb eingehalten werden. Verteilnetzbetreiber, bei welchen die ElCom ein formelles Verfahren eröffnet hat, sollen danach die Tarife gemäss rechtskräftigem Entscheid der ElCom oder der Gerichte korrigieren. Verteilnetzbetreiber, bei welchen bis heute noch kein formelles Verfahren eröffnet worden ist, sollen gemäss ElCom die Tarife ab dem Tarifjahr 2013 korrigieren.

Das Bundesgericht urteilte im Einzelnen:

Anspruch der Endverbraucherin auf Erlass einer Verfügung / Art. 22 Abs. 2 StromVG

Das Gesuch der beschwerdeführenden Endverbraucherin an die ElCom, einen Strompreis festzulegen, zu dem sie in der Grundversorgung seitens der Verteilernetzbetreiberin zu beliefern sei, ist das Gesuch um einen Entscheid "im Streitfall" gemäss Art. 22 Abs. 2 lit.a StromVG. Die zu erlassende Entscheidung regelt gegenseitige Rechte und Pflichten von Lieferant und Endverbraucher und ist somit eine Verfügung. In einem solchen Verfahren haben zwangsläufig auch Endverbraucher Parteistellung, und zwar nicht als Dritte sondern als materielle Verfügungsadressaten. Somit besteht auch ein Anspruch auf Erlass einer Verfügung gegenüber der ElCom. Anders ist dies im Verfahren von Amts wegen zur Festlegung der anrechenbaren Energiekosten durch die ElCom nach Art. 22 Abs. 2 lit. b StromVG, in dem Stromkonsumenten nicht Verfügungsadressaten sondern Dritte sind, folglich ihre Parteistellung zu verneinen ist.

Beurteilung der „Angemessenheit“ eines Tarifs (Art. 6 Abs. 1 StromVG) durch die ElCom im Rahmen von Art. 22 Abs. 2 lit. b StromVG

In der Beurteilung dessen, was „angemessen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 StromVG ist, kommt der ElCom ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, den auch das Bundesverwaltungsgericht zu respektieren hat. Es muss allerdings die Gesetzmässigkeit des Handelns der ElCom überprüfen wie auch die Gesetzmässigkeit der von dieser angewendeten Verordnungen.

Die von der ElCom angewandte Methode kann nicht als gesetzwidrig erachtet werden.

Streitig war in erster Linie, wie der Begriff „anteilsmässig“ in Art. 6 Abs. 5 StromVG (Weitergabe von Preisvorteilen aufgrund freien Netzzugangs) auszulegen ist.

Die ElCom und das UVEK beziehen „anteilsmässig“ auf die Anteile von Grundversorgung und freien Kunden am Gesamtabsatz und teilen die gesamten Beschaffungskosten nach diesem Schlüssel auf. Bundesverwaltungsgericht und die Verteilernetzbetreiberin beziehen hingegen den Begriff „anteilsmässig“ auf die konkret durch die Endverbraucher mit Grundversorgung verursachten Kostenanteile. Eine Rechtsgrundlage für dieses Verursacherprinzip ist nach Ansicht des Bundesgerichts nicht ersichtlich. Art. 6 Abs. 3 StromVG schliesst nach Ansicht des Bundesgerichts eine direkte Einzelkostenzurechnung zu einzelnen Endverbrauchern aus.

Die Methode der ElCom kann nicht als unangemessen (Art. 6 Abs. 1 StromVG) betrachtet werden. Sie schliesst einen kostenoptimierten Ansatz der eignen Produktionskapazität nicht aus, garantiere ihn allerdings auch nicht automatisch.

Die Methode der ElCom stehe auch nicht im Widerspruch zum Prinzip der Kostenträgerrechnung (Art. 6 Abs. 4 StromVG). Wie sich aus dem Netzzugang ergebende Preisvorteile auf die verschiedenen Gruppen von Endkonsumenten aufzuteilen sind, richtet sich nach Art. 6 Abs. 5 StromVG und nicht nach Abs. 4.

Auch wenn Grundversorgung und Netzzugang kostenträgermässig aufgeteilt werden und in der Grundversorgung nicht der Marktpreis gilt, soll nach dem Willen des Gesetzes ein Marktanteil in die Tarife der festen Endverbraucher einfliessen. Insofern lässt sich dem Gesetz gerade keine völlige kostenträgermässige Trennung von grundversorgten und freien Kunden entnehmen. Weiter lässt sich das Argument des Bundesverwaltungsgerichts und der Netzbetreiberin, wonach die Grundversorgung in erster Linie durch Eigenproduktion zu decken sei, weder dem Wortlaut des Gesetzes noch den Materialien entnehmen.

Die ElCom hat zudem zurecht den zweiten Satz von aArt. 4 Abs. 1 StromVV („Überschreiten die Gestehungskosten die Marktpreise, orientiert sich der Tarifanteil an den Marktpreisen“) nicht angewendet: die Konsequenzen einer Anwendung hätten erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und die gesamte Energiepolitik. Solche Konsequenzen sind von einer derartigen Wichtigkeit, dass sie vom formellen Gesetzgeber entschieden werden müssen und nicht auf Verordnungsstufe eingeführt werden können. Nichtsdestotrotz sind Marktpreise für die Grundversorgung nicht völlig unbedeutend. Entgegen dem heutigen Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 StromVV können die beiden Komponenten (Eigenproduktion und langfristige Bezugsverträge) nicht abschliessend sein.

Die ElCom kann zudem eine Absenkung der Tarife bzw. der geltend gemachten Energiekosten schon dann anordnen, wenn eine einzelne Komponente überhöht ist und nicht erst auf Grundlage eines umfassenden Effizienzvergleichs der gesamten Kosten.

Auch die Methode der ElCom für die Beurteilung der Vertriebskosten erweist sich als gesetzmässig, selbst wenn andere Methoden ebenfalls denkbar wären. Für die Vertriebskosten hat die ElCom einen Medianwert von CHF 74.- pro Endverbraucher erhoben und diesen zugunsten der Verteilernetzbetreiber auf CHF 95.- erhöht. Deklarierte Werte unterhalb dieses Betrages wurden nicht näher betrachtet, Werte von über CHF 150.- wurden auf diesen Betrag gesenkt. Im Bereich zwischen CHF 95.- und CHF 150.- wurden sie geprüft und unter Umständen anerkannt. Bei der Verteilernetzbetreiberin betrugen die deklarierten Kosten mehr als CHF 150.- und wurden daher auf diesen Wert gesenkt. Die Methode der ElCom trägt nach Auffassung des Bundesgericht, wenn auch sehr pauschalisiert, in einem gewissen Rahmen strukturellen Unterschieden und Gegebenheiten bei den Verteilernetzbetreibern Rechnung.